Dienstag, 19. Mai 2009

Rastlos II


Matuse, Hiroshima


Der nächste Tag bringt uns nach Matsue. Provinziell, unspektakulär.
Dafür klärende Gespräche unter Geschwistern und die Erfahrung, dass man sich hier wirklich freut, dass es uns Gaijin in ein solches Nest verschlagen hat. Kälte auch hier.


Und wieder in den Zug - Hiroshima heißt unsere nächste Station. Das Gepäck schließen wir im Bahnhof ein, dann laufen wir durch eine Stadt, deren ältestes Gebäude gerade 54 Jahre als ist, von den wenigen Erinnerungsdenkmälern abgesehen.

Ein dumpfes Gefühl; die Stadt voller Leben und Sonnenschein. Die Freude über besseres Wetter reißt uns mit. Ernst werden wir wieder, als wir zum Atombomben-Dom gelangen, dem wohl bekanntesten Relikt aus der Zeit vor dem Krieg. Unzählige Fotografien haben das Gebäude in mein Hirn eingebrannt und mir ist, als wäre ich eben in ein solches Foto gestiegen. Doch es kommt eine neue, noch grausamere Perspektive hinzu, denn nie zuvor habe ich die Rückansicht des Gebäudes gesehen – und was ich sehe ist NICHTS. Die gesamte Rückfront ist einfach verschwunden, was blieb ist ein totes Gerippe. Eine japanische Touristengruppe sitzt davor im Kreis, einige weinen. Wir sind traurig ergriffen und wissen nicht, was wir machen sollen. Also schauen wir zwei top-gestylte Japanerinnen die Peacezeichen machen und vor dem Dom posieren böse an. – Dabei wären Peacezeichen doch so passend. – Doch das Zeichen ist abgenutzt und bedeutungsschwach. Was soll es also an diesem Ort?

Eine freiwillige Touristenführerin erzählt uns auf Englisch Fakten über den Abwurf der Atombombe, zeigt uns Bilder. Später erzählt ihr Kollege, der jüngste Überlebende, von seiner Familie, von seiner persönlichen Betroffenheit, der Angst vor dem Krebs. Eine unersetzliche Arbeit, denn sie mahnt auf unwiderstehliche Weise.
















Das Friedensmuseum ist erfreulicherweise günstiger, als gedacht.
Für wenige Cent verbringen wir einige Stunden damit Hiroshimas Geschichte zu ergründen und mehr über den Hintergrund und den Prozess der Entstehung der Atombombe zu lernen, der einmal in Gang gesetzt unaufhörlich und zielstrebig auf sein tödliches Ende zusteuerte.
Mir graut davor Bilder von den Opfern zu sehen denen die Kleider in die Haut gebrannt sind, oder deren Körper mit Pusteln und wuchernden Narben übersäht sind. - Ich kenne auch diese Bilder und bin froh hier nur einigen von ihnen wieder zu begegnen.
Dafür werden wir hineingezogen in überaus persönliche Schicksale von Menschen, die lebten, leben wollten und doch starben, oft auf die unmenschlichste Art und Weise. Von dem kleinen Mädchen namens Sadako, das als zweijährige in den „schwarzen Regen“ geriet, der nach dem Abwurf der Atombombe fiel und das mit zehn Jahren an Leukämie erkrankte. Welches leben wollte und diesen Willen in über tausend Papierkranichen zum Ausdruck brachte, von denen ein jeder mit dem innigsten Wunsch nach Genesung gefüllt war. Papierkraniche richten in unserer Welt aber leider, obwohl sie real, sichtbar und plastisch sind, nichts aus gegen unsichtbare Strahlung und so wurde nach dem Tod Sadakos in ihrem Andenken das Kindergedenkmonument errichtet.
Die Einzelschicksale holen uns Besucher ab und zeigen, dass mit dem Abwurf der Atombombe Geschichten zu Ende gingen und immer noch gehen (dies als krasser Unterschied zu anderen Kriegsschicksalen), für die andere Enden geschrieben waren.
Wieder in der gleißenden der Sonne bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Kinder rennen umher, etwas essen, ans Meer, zurück zum Bahnhof. Das Leben hat uns wieder im hier und jetzt.
Wieder die Sorge um Essen für Unterwegs, ankommen werden wir schließlich erst um 10:00. Wir entschließen uns für Sushi zum mitnehmen.
Im Zug schenkt uns ein älterer Herr noch mehr Sushi und als er aussteigt eine Packung von den teuren, guten Instantramen (Nudeln). Wir sind gerührt von seiner spontanen Freundlichkeit und freuen uns, einem Kind zu Beginn unserer Reise in einem anderen Zug einen Teddy geschenkt zu haben. Nehmen und geben, geben und nehmen. Es kann so einfach sein!

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